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Bunte Pillen in Kambodscha

Glück gehabt und Gefahr in Verzug

2014 © Ludger Wimberg

Eines der Mädchen aus der Kong-Bar erlebte ein tiefes Unglück. Ihr französischer Mäzen hatte sie sitzen gelassen. Sie lebte mit fünf weiteren Mädchen ihre Zunft in einer Einzimmerwohnung in meiner Appartmentanlage. Ich hatte am Tag vorher gesehen, dass ein Motortaxidriver ein Paket abgab, faustgroß und dachte an Drogen. In der Nacht darauf nahm sie nach ausgeprägtem Alkoholmissbrauch mit folgendem tiefen Unglücksgefühl über 60 Paracetamolpillen der Größe 500mg und wollte sich damit vorsätzlich töten. Das machten die Mädchen in den indischen Filmen auch immer so und die liefen hier in Kambodscha jeden Tag im Fernsehen als Bildungsprogramm. Morgens wurde ich geweckt. Hilfesuchend stand eines der Mädchen an meiner Tür. Sie zeigte mir 5 leere Packungen mit jeweils Platz für 12 Tabletten und die im Alkoholkoma liegende Kollegin.


Apotheke in KambodschaApotheke Paracetamolvergiftung ist ein bekanntes Schlagwort bei Google. Sie wird schnell gefunden und gut beschrieben. 60 Pillen, das sind 30 g Paracetamolwirkungsstoff. 12 g sind tödlich. 2 g Tagesdosis für Erwachsene sind das Höchstmaß. Der Tod schleicht sich 6 Tage an. Die ersten 24 Stunden merkt man nichts, dann wird man gelb, erbricht ständig bei heftigen Kopfschmerzen und zeigt Kreisverlaufversagen. Laufen, gehen, stehen sind nicht mehr möglich. Wir holten die Vermieterin, die ausreichend Englisch sprach. Ich zeigte ihr die Packungen. Die Zeit war knapp, denn die einzig wirkungsvolle Behandlung war eine Verabreichung von N-Acetylcystein in den ersten Stunden bis Tagen in die Nährlösung des Tropfes gespritzt. Die Selbstmordkandidatin wurde zwischen zwei Freundinnen gepackt und so auf dem Motorbike gehalten. Ab ging es zum Krankenhaus. Die Damen wiesen den Weg. Ein Bett im Empfangsbereich. Ein Krankenhaus mit nur einem Bett? Später fuhr ich nochmal vorbei und fragte den Arzt, ob er das N-Acetylcystein als Antidot beigemischt hattte. Ich zeigte es ihm im Internet. “Ja!”, sagte er, “Na klar.”



Klinik mit nur einem Bett? Vier Stunden später fuhr ich noch einmal vorbei. Die jetzt diensthabende Ärztin sagte mir, da wäre nichts beigemischt. Frustriert ging ich und überließ den Khmer das Feld. Dann wurde eben gestorben. In diesem Land bin ich schon so häufig an die Grenze der Vernunft, des Verstandes und der Logik gestoßen, dass ich sogar diesen Selbstmord ertragen konnte. Doch am nächsten Tag sah ich die Patientin fröhlich beim Fischgrillen vor ihrer Tür. Am Tag darauf fuhr sie wieder zur Arbeit. Das ließ mich nicht ruhen. Ich fragte sie, was sie für ihre Paracetamol bezahlt hatte. Sie sagte 100 Stück für einen Dollar inklusive Anlieferung. Mit einer leeren Packung ging ich in einige Pharmashops und fragte nach Paracetamol. Regulär kosteten zehn Tabletten einen Dollar. Meine Packung mit 100 Pillen für einen Dollar wurde lächelnd betrachtet. Eine junge Aushilfskraft sagte, alles dasselbe nur nicht so gut. Zwei andere “Fachkräfte” sagten mir, das war Para500 der Firma CPE, das war nicht Paracetamol. Das Mittel wurde in Phnom Penh hergestellt. Der Rest waren erste Ahnungen. Fälscherwerkstätten gab es überall, weltweit, in Slums und in Hotels. Hier wurde alles gemischt, manchmal mit lebensgefährlichen Stoffen wie Strassenfarbe auf Bleibasis, Borsäure und Bodenreiniger!



Medical Cabinet und Pharmacie nebeneinander – Pillen ohne Ende Das Mädchen hatte Glück und aus Kostengründen eine preiswerte Lösung gewählt. Die Pillen bestanden wahrscheinlich aus reiner Stärke und homöopathischen Wirkstoffbeimengungen. Das echte Paracetamol in der angegebenen Dosis hätte sie umgebracht. Diese Recherchen behielt ich für mich. denn die Ärztin hatte ihr gesagt, sie durfte bei ihrer Leberschädigung keinen Alkohol mehr trinken und musste zwei Monate Evipure Hepa nehmen, ein Mittel mit hohem Anteil Vitamin E, zum Schutz der Leber. Das Original kam aus Amerika, die hiesige Variante vielleicht aus Phnom Penh, wer wusste das schon? Doch die von der Ärztin eindringlich verordnete Therapie ” kein Alkohol mehr ” war hier die wahre Lösung und dabei sollte es bleiben.
Pillenshop in Kambodscha

Monika sitzt in der deutschen Kneipe in der Nähe des Serendipity Strandes im Süden Kambodschas. Ihre Beine sind dick und das Dunkelgraue ihrer Beinfarbe zieht sich langsam aber sicher gen Füße ins Schwarz. Heftige Wassereinlagerungen wie diese, können Hinweise auf ein Organversagen sein, Herz oder Niere. Sie geht zur Apotheke in Sihanoukville und zeigt ihre Beine. Keine zwei Minuten später hat sie eine kleine Plastiktüte mit Pillen erstanden. Es sind unterschiedliche Sorten, farblich freundlich abgestimmt und vorrangig in leichten Pastelltönen. Monika nimmt sie alle mit und ein. Sie möchte nicht wegen ihrer Beine nach Deutschland zurück. Sie will für immer hier bleiben. Das könnte ihr gelingen, nur anders. Bald wird sie nicht mehr fliegen können. Nach einigen Recherchen im Internet entpuppen sich zwei der eingepackten identifizierbaren Pillen als in Wasser verdünnbare Pflanzennährmittel. Ein weiteres Mittel ist geeignet für Schwangere bei Gehbeschwerden. Kann es sein, dass die Mittel in den Läden geordnet sind nach Khmer Stichworten, z.b. Wasser und Bein? Hier heißen die Apotheken Pharmashops. Es sind kleine Kaufhäuser mit Pillen aller Art, original verpackt und lose. Die Losen aus großen Tüten sind mehr als suspekt, denn nichts weist auf ihren Namen hin oder den Wirkungsstoff, geschweige einen Hersteller.
Pillenshop in Kambodscha Hier werden keine Fragen zur Feststellung der Krankheit gestellt. Man zeigt auf den Bauch oder auf das Hosenbein und schon hat man eine Tüte für 2$ in der Hand. Häufig mit 20 und mehr Pillen. Wie die zu nehmen sind, vor oder nach dem Essen, dazu gibt es keine Aussage. Für Monika sind die Pillen zu spät. Sie muss sofort nach Hause in ein Spezialkrankenhaus. Doch Menschen auf der Flucht sind beratungsresistent. So werden ihre Beine wohl hier bleiben. Wurmmittel gegen Sonnenallergie Bei einer sichtbaren Sonnenallergie wurde einem Dauerurlauber ein Wurmmittel verkauft. Es gab eine heftige Erstdosierung mit der Pflicht der täglichen Leberkontrollwerte durch den Arzt. Auch er hat das Mittel genommen und seitdem keinen Durchfall mehr. Würmer hat er auch keine, aber die hatte er vorher auch nicht.



Pharamacie in Kambodscha Ausgebildete Pharmakologen sind rar in Kambodscha. Es ist komplett überfordert mit dieser Flut von Pillen. An jeder Ecke werden Medikamente zu geringsten Dollarbeträgen angeboten. Da sich meisten die Menschen keine halbwegs sicher Krankheitsdiagnose leisten können, nehmen sie die Pillen gerne an. Sie versprechen Besserung und befinden sich nicht selten auf dem Niveau der selbstgebrauten Tonika der mittelalterlichen Baader. Hoffentlich nehmen die Kranken die Pillen der Firma CPE, denn die scheinen wirkstofflos zu sein. Gesundheitsgefährdende Nebeneffekte sind ausgeschlossen, doch der Placeboeffekte kann die eigenen Heilkräfte positiv stimulieren.